Auftritt in Rosa von Hans-Jürgen Hafner:
am Donnerstag, den 24.11.05 und Freitagvormittag finden die Einzelkonsultationen mit
Hans-Jürgen Hafner an der HGB statt.
Ein ziemlich beeindruckender Auftritt. Sehr dominant, gleichzeitig aber auch ein wenig träumerisch und in sich versunken, überblickt überlebensgroß eine rosige Marmor-Dame den offenen Schau- und Büroraum in der frisch eröffneten Berliner Dependance der Münchner Galerie Ben Kaufmann. Little Rosa (1982-1996) ist eine der letzten Arbeiten des bereits 1996 verstorbenen dänischen Künstlers Poul Gernes. Der frei stehende Akt, mit elegantem Schwung aus portugiesischem Marmor gefertigt, wirkt nicht nur von seinem Material her – einem fleischigen, bläulich durchäderten und weich geschliffenen Stein – lebendig. Die Dame scheint gerade im Begriff, Treppenstufen herab zu schreiten, ist wie in der Bewegung fixiert. Die Haltung ist stolz, aber ein wenig unbeholfen; keine wirklich „klassische“ Anmutung – nicht zuletzt aufgrund der markanten Stilisierungen von Frisur (mit blau gefärbter Haarschleife) und ornamental organisiertem Schamhaar, der auffällig massiv stehen gelassenen Stabilisierung zwischen Armen und Körper und, vor allem, einer hinterher gezogenen Arbeiterhose.
Diese Fülle an Details macht es fast unmöglich, die Skulptur zu datieren oder präziser in einem treffenden Kontext zu verorten. Sicherlich zwinkert Marcel Duchamps berühmter Akt verführerisch aus der Kunstgeschichte herüber und man könnte zudem an die ästhetischen Konzeptionen des SozReal denken – gerade auch, weil Rosa, wenn sie mit ihrem Fußballen die weiß-blaue Kachelung des Treppenabsatzes berührt, fast ein wenig tendenziös in Richtung Deko wirkt oder mit anderen Worten: eher „angewandt“ als integer für den gesicherten Kunstgeschmack. Noch mehr irritiert allerdings die farbenfrohe, psychedelische Wandtäfelung, die, dicht an dicht aus zwei Reihen quadratischer Bildtafeln installiert, den Raum einfasst. Ihr serieller Pop-Charakter erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als trügerisch. Jedes einzelne dieser sichtlich gealterten Punkte-Bilder aus der 1966 entstandenen Serie der „Dot Paintings“ stellt sich als individuell und entschieden gestaltet heraus, lässt aber eine vielfältige „Nutzung“ durch freie Kombination bereitwillig zu.
Die beinahe unvereinbare Spannung zwischen dem patinierten Pop-Minimalismus der „Dots“ und der aus ihrem Traditionalismus herauswachsenden Ambivalenz der Skulptur wird deshalb produktiv, weil sich darin die komplexe künstlerische Praxis und dazu das Selbstverständnis von Poul Gernes widerspiegelt. Sein umfassendes Werk bewegt sich immer auch über die Ränder einer als „rein“ idealisierten Kunstauffassung hinaus, wenn Gernes neben seinen genuin künstlerischen Produktionen quer durch sämtliche Medien und Formen etwa die Architektur als Arbeitsfeld begreift und zum Beispiel die ästhetische Rundum-Gestaltung öffentlicher Bauten realisiert. 1961 coinitiiert Gernes mit der Eks-skolen eine experimentelle Kunstschule, die – kollektiv organisiert – vor allem interdisziplinäre und performative Arbeitsweisen pflegt. In einer Reihe von theoretischen Überlegungen geht der Künstler zudem Fragen nach der gesellschaftlichen Rolle der Kunst nach. Mit seiner sehr eigenständigen, von der Serialität der Pop Art und dem Literalen des Minimal, aber auch von Volkskunst und Design beeinflussten künstlerischen Konzeption nimmt Gernes immer wieder auf Fragen nach dem Ort der Kunst, nach Autorschaft und künstlerischer Subjektivität Bezug.
Trotz der beeindruckenden Vielfalt seiner Aktivitäten ist Poul Gernes außerhalb von Dänemark kaum einem breiteren Publikum bekannt geworden. 2002 ermöglichte bereits eine Übersichtsschau im Braunschweiger Kunstverein einen fundierten Zugang zu seinem vielschichtigen Werk. In der aktuellen, in dieser Form auch von der Witwe und der Tochter Gernes’ tatkräftig mit eingerichteten Ausstellung bei Ben Kaufmann wird der Blick auf den Künstler um eine äußerst interessante Facette erweitert und profiliert.
Noch bis zum 12. November 2005 in der Galerie Ben Kaufmann, Brunnenstr. 10, 10119 Berlin.
AutorInnen:
Hans-Jürgen Hafner
freier Autor, Deutschland
Beiträge auf netzspannung.org› Leuchtfeuer und V-EffekteBereichKultur | KunstKurzbeschreibung
Hans-Jürgen Hafner, geboren 1972 in Freystadt, wohnhaft in Nürnberg, schreibt als »professioneller Ausstellungstourist« regelmäßig vor allem über zeitgenössische Kunst und über Musik. Er hat Germanistik und Geschichte studiert.
PublikationenHAFNER, Hans-Jürgen: Leuchtfeuer und V-Effekte. In: FLEISCHMANN; Monika, REINHARD, Ulrike (Hrsg.): Medienkunst als Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Heidelberg: Whois Verlags- und Vertriebsgesellschaft, 2004.
SchlagworteThemen
Kulturvermittlung